top of page

Zwischen Gefühl und Verstand: Wie viel Rechnerei ist gut und richtig in einer Paarbeziehung?

Aktualisiert: 8. Aug.

Als ich vor Kurzem einer Bekannten erklärte, was ich mit Paarity vorhabe, reagierte sie gemischt:

„Aber das klingt ja so, als müsste man alles aufrechnen. Das ist doch furchtbar! Das macht unsere Beziehungen doch zu rein transaktionalen Angelegenheiten!“

Ich verstehe diese Reaktion. Sie hat ja recht.


Und trotzdem bin ich überzeugt: Ein Minimum an Rechnerei ist gut und wichtig. Viele Paare rechnen viel zu wenig – und am Ende rächt sich das. Für beide, oder mindestens für eine:n von ihnen. Und ja, ich könnte mir hier das Gendern sparen: Meist ist es die Frau, die am Ende schlechter da steht.


Ein Blick auf die Fakten:

  • Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag lag bei Männern bei 1.427 Euro, bei Frauen bei 936 Euro. Mehr als ein Viertel aller Rentner:innen bezieht dabei weniger als 1.000 Euro pro Monat, bei Frauen sind es sogar 38,1 %, d. h. fast vier von zehn Frauen können im Alter nicht von ihren Renteneinkünften leben! (Quelle).

  • Selbst unter Einbezug anderer Alterseinkünfte ergibt sich ein durchschnittliches Gesamteinkommen von 2.033 Euro bei Männern und 1.341 Euro bei Frauen. Das ist immer noch nicht üppig. Es sind vor allem aber auch mehr als 50 % Unterschied (Quelle).


Zwischen Cents und Sensibility, zwischen Vertrauen und der Realität struktureller Benachteiligung.


Beziehungen geraten immer wieder in Gefahr, zur Bilanz zu werden:

  • Wer hat was erledigt?

  • Wer bringt wie oft die Kinder ins Bett?

  • Wer darf wann zum Sport, wer geht wie oft mit Freund:innen aus, wer räumt die Spülmaschine aus und wer bringt den Müll runter?


Solche Fragen führen schnell zu einer Negativspirale.


„Nie machst du …“, „Immer muss ich …“, „Könntest du vielleicht auch EINMAL …“.


Andererseits verfestigt das Gegenteil, das Gar-nicht-rechnen, Rollenmuster, Machtungleichgewichte und wirtschaftliche Benachteiligung.

Wir sind schließlich alle in einer patriarchalen Welt aufgewachsen, und die meisten von uns müssen (immer noch) erst lernen, wie es anders gehen kann.


Männer genauso wie Frauen. Denn solange frau glaubt, nur sie könne das Kind ins Bett bringen oder nur sie wüsste, was eingekauft werden oder dem Kind angezogen werden muss, solange kommen wir nicht aus der Care-Arbeits-Falle heraus – die Falle, die Frauen weniger Zeit lässt für sich selbst, für soziale Beziehungen und eben auch für Erwerbsarbeit und eine damit verbundene wirtschaftliche Absicherung.


Die dänische Feministin Emma Holten sagte dazu kürzlich in einem anderen Kontext in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung:

„Das ständige Rechnen führt zu unmenschlichen Argumentationen.“ – Emma Holten

Sie kritisierte damit eine EU-Studie, die den wirtschaftlichen Schaden von Gewalt gegen Frauen bezifferte. Wenn wir menschliches Leid (bzw. Missstände) rein ökonomisch betrachten, verlieren wir den moralischen Kompass, so ihr Argument.


Und gleichzeitig: Wenn wir aus Prinzip nicht rechnen, zum Beispiel „weil wir uns doch lieben“, übersehen wir strukturelle Ungerechtigkeiten, die sich finanziell und biografisch sehr real auswirken.


„Wir lieben uns doch“ oder „Ich vertraue ihm/ihr“ reicht nicht.


Wir müssen also rechnen. Vielleicht nicht minuten- oder stundengenau. Vielleicht auch nicht jeden einzelnen Euro. Aber wir müssen sicherstellen, dass die Gesamtrechnung stimmt.


Und wir beginnen da am besten nicht beim Geld, sondern bei der Zeit:

  • Wie viel Zeit verbringt jede:r von uns mit bezahlter Erwerbsarbeit, wie viel mit unbezahlter Care-Arbeit?

  • Wie viel Zeit bleibt für uns selbst – für soziale Beziehungen, Sport, Hobbys?


Im zweiten Schritt geht es dann um Geld: Wie bilden wir unsere Aufgabenteilung partnerschaftlich und also auch wirtschaftlich fair ab, sodass niemand von uns später in finanzielle Schwierigkeiten gerät?


Leitfragen können dabei sein: Was sind die "Opportunitätskosten" einer eventuellen Mehrübernahme von Care-Arbeit oder Erwerbsarbeit und wie bilden wir sie in unserer Beziehung fair ab?


Das ist zumindest dann relevant, wenn bezahlte und unbezahlte Arbeit ungleich verteilt sind, also beide arbeiten, aber nur eine:r dafür Geld überwiesen bekommt. Und es kann auch durchaus Sinn ergeben, sich zeitweise aufzuteilen: Eine:r geht mehr Erwerbsarbeit nach während der/die andere mehr unbezahlte Care-Arbeit übernimmt, eben für’s Team. Früher hätte man gesagt, er/sie hält ihm/ihr “den Rücken frei”.


Trotzdem müssen beide im Blick behalten, dass niemand langfristig ins Hintertreffen gerät.


Immerhin liebt man sich doch.



 
 
 

Kommentare


bottom of page